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Ludwig Fischer wurde
am 25. November 1849 als 13. und jüngstes Kind
der Familie in Hüllhorst, Kreis Lübbecke, im
Minden-Ravensberger Land geboren. Nach dem Tode
seiner Eltern veranlassten ihn seine
Geschwister, die selbst arm waren, ins
Industriegebiet zu ziehen, um sich dort seinen
Lebensunterhalt selbst zu verdienen. So zog, auf
Gottes Hilfe bauend, der streng evangelisch
erzogene Ludwig Fischer 1865 mit 15 Jahren nach
Gelsenkirchen.
Hier fand er Arbeit in der Zeche Hibernia. Nach
einer Verbrennung, die er sich im Untertagebau
zuzog, wurde er über Tage weiterbeschäftigt. Im
Jahre 1883 erhielt er die Stelle eines
Brückenkontrolleurs bei der Zeche Rhein-Elbe
I/II. Am 27. August 1875 heiratete Ludwig Fischer
Maria Meinecke. Seine aus einer katholischen
Familie stammende Frau konvertierte bei der
Hochzeit zum evangelischen Glauben, was eine
völlige Trennung der jungen Frau von ihrer
Familie nach sich zog. Das junge Paar fand aber
durch die gute Bekanntschaft mit die Familien
Wessels, Fröhlich, Koch usw. vollen Ersatz für
die verlorenen Familienbande.
Ludwig Fischer war äußerlich ein kleiner Mann,
nur 1,54 Meter groß. Er war ein gewissenhafter,
strenger, zugleich aber liebevoller
Familienvater. |
Sein Sohn Otto erzählte: „In unserem Hause galt
nur ein Wille, der des Vaters. Gern beschäftigte
sich der Vater mit uns. „Antreten zum
Kirchgang!“ hieß es am Sonntagmorgen, oder
später am Nachmittag. „Heute Abend wird um 8.00
Uhr gegessen. Jetzt könnt ihr gehen!“ Aber wehe
dem, der zu spät kam. Noch als erwachsene Söhne
erhielten wir u. a. Backpfeifen, wenn wir nicht
Ordnung wahrten.“
In den seiner Zeit bestehenden
christlich-sozialen Vereinen, in denen die
katholischen Geistlichen die Leitung hatten,
fühlte sich Ludwig Fischer nicht wohl. Es gärte
gewaltig in ihm, und sein Plan, seine
evangelischen Kameraden aus dieser Bewegung
herauszuziehen, reifte bei ihm zum Entschluss. Als Mitglied des formell interkonfessionellen,
tatsächlich katholischen „christlich-sozialen
Vereins" erkannte er die gerissene Taktik des
Kaplans, der Mischehen empfahl, um auf diese
Weise die evangelischen Gemeinden zu schwächen
und die katholischen zu stärken. Im Frühjahr 1882 schlug Ludwig Fischer bei einer
Besprechung auf dem Kirchplatz der ev. Kirche
seinem Freunde Hermann Wessels vor, als
Gegengewicht zu den anderen Vereinigungen einen
evangelischen Arbeiterverein zu gründen. Diesem
Vorhaben schlossen sich seine Freunde Hermann
Wessels, Wilhelm Fröhlich und Richard Koch an,
und sie entwarfen die Statuten für einen solchen
Verein. Diese besagten, unter den Glaubensgenossen das
evangelische Bewusstsein zu stärken, die Liebe
zum Vaterlande und Herrscherhause zu pflegen,
die sittliche Kraft und allgemeine Bildung zu
fördern, das friedliche Verhältnis zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu wahren und die
Mitglieder in außerordentlichen, unverschuldeten
Notfällen zu unterstützen.
Am 29. Mai 1882 wurde im Althof´schen Saale die
erste Versammlung einberufen, zu der 57
evangelische Arbeiter erschienen. Ludwig Fischer
als Leiter der Versammlung eröffnete diese mit
einer längeren Ansprache. Anschließend wurde er
zum kommissarischen 1. Vorsitzenden gewählt und
einige Wochen später als 1. Vorsitzender eines
evangelischen. Arbeitervereins bestätigt. Nun hieß es, den Gedanken der evangelischen
Arbeitervereine in andere Ortschaften zu tragen.
Mit unermüdlichem Fleiß ging Ludwig Fischer ans
Werk und erlebte die Freude, dass in der
Gemeinde Schalke schon im Juli 1882 der zweite
Verein ins Leben gerufen wurde. Unter Mithilfe
der evangelischen Geistlichen erfolgte bald eine
Vereinsgründung nach der anderen. Kein Weg,
keine Ortschaft war Fischer zu weit, wenn es
hieß, die evangelischen Belange zu wahren und zu
vertreten. Er fuhr sogar bis nach Nimmersatt in Ostpreußen,
wo er gute Erfolge erzielte.
Auf Fischers Drängen hin wurde 1884 der erste
Provinzialverband, Rheinland und Westfalen
umfassend, gegründet. Sechs Jahre später, am 6.
August 1890, schlossen sich die evangelischen
Arbeitervereine zu einem Gesamtverband in ganz
Deutschland zusammen. Die große
Einsatzbereitschaft und die rednerische Begabung
Ludwig Fischers führten dazu, dass er am 1.
Oktober 1887 als Verbandsagent des
Provinzialverbandes Rheinland und Westfalen
angestellt wurde. In dieser Eigenschaft hat er
in den beiden westlichen Industrieprovinzen und
in der Folge auch in anderen Gegenden
Deutschlands zahlreiche evangelische
Arbeitervereine aus der Taufe gehoben. Bei der
Gelsenkirchener Gründung des ersten
Arbeitervereins war die Ablehnung des
Ultramontanen (streng päpstlich Gesinnten)
zunächst das Ausschlaggebende. Durch den Lehrer
Bischof kam die soziale Komponente hinzu. Das
Nationale wird in den ersten Statuten noch nicht
besonders erwähnt, weil es damals als
selbstverständlich galt.
Gröbste persönliche Angriffe eines Teils der
katholischen Bevölkerung Gelsenkirchens war die
Antwort auf die Gründung evangelischer
Arbeiter-vereine. Ludwig Fischers Sohn schrieb
dazu: „Wenn der Vater seine Wohnung in der
Herner Straße, später in der Petersstraße
verließ, dann riefen die Leute höhnisch „Platz
für den Bußprediger!“ Der Vater wurde
angespieen, wir Kinder beim Schulweg abgefangen,
beschimpft und verprügelt.“ Im evangelischen Teil der Bevölkerung
Gelsenkirchens, und zwar besonders bei den
Arbeitern und einem Teil der Geistlichkeit,
fanden Ludwig Fischers Persönlichkeit und sein
Werk höchste Anerkennung. Pfarrer Bockkamp, aus
Gelsenkirchen, schildert ihn wie folgt: ,,Er war
unermüdlich tätig, mit der ihm eigenen Tatkraft
und mit zündendem Wort die Bewegung
weiterzutragen. Er wurde bald in ganz
Deutschland bekannt und tätig. Ludwig Fischer,
der Vater der evangelischen Arbeitervereine, war
deren markanteste Figur und ihr wirksamster
Förderer. Der kleine Mann mit den freundlich und
hell leuchtenden Augen und dem klugen Blick, mit
dem warmen Herzen und dem anfeuernden Wort ist
mir in liebster Erinnerung..." Ludwig Fischer war bis zum Jahre 1901
Verbandsagent der evangelischen Arbeitervereine.
Als der Gesamtverband der evangelischen
Arbeitervereine, und damit auch der
Provinzialverband Rheinland und Westfalen, sich
zur christlichen Gewerkschaft bekannten, weil
sie glaubten, als soziale Bewegung nicht an der
gewerkschaftlichen Notwendigkeit vorbeigehen zu
können, auch wenn sie ausdrücklich betonten, das
ohne einseitige Bindung und unter Wahrung der
eigenen Haltung zu tun, konnte Ludwig Fischer
diesen Schritt nicht mitvollziehen. Er erkannte,
dass sich diese christliche
Gewerkschafts-bewegung als interkonfessionell
bezeichnete, in ihrer Führung aber nahezu ganz
katholisch war. Deshalb schied Ludwig Fischer am
15. September 1901 mit dem
Bochum-Gelsenkirchener Kreis aus dem
Gesamtverband aus. Er schloss sich dem
evangelischen Arbeiterbund an. Seine Frau sagte
später: „Nach der Trennung war er ein
gebrochener Mann. Das war der Nagel zu seinem
Sarge."
Am 29. Januar 1902 übernahm Ludwig Fischer die
Leitung eines Volksbüros des evangelischen
Arbeiterverbundes. Bald darauf wurde er deren Bundesagent. Weil der
evangelische Arbeiterbund sein Gehalt nicht mehr
bezahlen konnte, schied Ludwig Fischer am l.
Juli 1906 aus dessen Dienst aus und folgte einem
Ruf nach Emden als Leiter eines größeren
Arbeitsnachweisbüros der Nordseewerke. Am 4. Juni 1907 beendete ein Herzschlag das
Leben Ludwig Fischers. Seine Leiche wurde nach
Wanne überführt und auf dem alten evangelischen
Friedhof am Hauptbahnhof Wanne beigesetzt. Auf
sein Grab wurde ein Marmordenkmal gesetzt. Als
der alte evangelische Friedhof durch Planung der
Stadt Wanne-Eickel aufgegeben wurde, hat die
Evangelische Arbeitnehmerbewegung Landesverband
Rheinland-Westfalen Ludwig Fischers Denkmal zum
Adolf-Stoecker-Heim, Sprockhövel-Gennebreck,
transportiert und in den Anlagen dieser
Bildungsstätte in unmittelbarer Nähe des Hauses
aufgesetzt. Neben das Denkmal Ludwig Fischers
hat der Bezirksverband der EAB Gelsenkirchen
einen Kohlenförderwagen einer Gelsenkirchener
Zeche gestellt.
Nach Veräußerung des Adolf-Stoecker-Hauses wurde
das Denkmal und der Förderwagen auf dem
Grundstück des Bildungs- und Erholungshauses
Richard-Martin-Haus in Hilchenbach bis zum
heutigen Tag aufgestellt. |